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Grußwort Eppelmann Grußwort Eppelmann Beliebt

Grußwort von Rainer Eppelmann für die Konzertveranstaltung am 24. April in der Erlöserkirche zum Abschluss der Ausstellung „Widerspenstig und widerständig – Jugendkultur in Lichtenberg 1960-1990“

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Blues-Freundinnen und Blues-Freunde,
in der Erlöserkirche in Lichtenberg fanden bis Mitte der 1980er-Jahre die berühmten Blues-messen statt, nachdem die Friedrichshainer Samariterkirche, in der ich als Pfarrer tätig war, dem großen Ansturm nicht länger gewachsen war. Es war kaum zu glauben: Tausende unangepasste Jugendliche aus der ganzen DDR pilgerten damals hierher, um einen Gottesdienst mit Bluesmusik, Sketchen und Aktionstheater zu erleben. Woher kam dieser Erfolg? Die Antwort ist vor allem in der besonderen Stellung der Kirche in der atheistisch geprägten DDR zu finden. Vom SED-Regime misstrauisch beäugt und doch verfassungsrechtlich geschützt, vermochte es die Kirche, systemkritischen Stimmen eine Nische und ein Schutzdach in der Diktatur zu bieten. Die Kirchentüren öffneten sich den Unangepassten und Ausgestoßenen ebenso wie den Jugendlichen, die sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der engen DDR rieben. Erwachsenwerden im SED-Staat hieß schließlich, sich innerhalb eines von der Partei streng vorgegebenen Korsetts zu bewegen. Nach dem Willen der Herrschenden soll-ten sich die Jugendlichen zu fleißigen und ordentlichen, sogenannten „sozialistischen Persönlichkeiten" entwickeln, die dem Staat und dem kommunistischen System treu ergeben waren. Wer sich aber unangepasst verhielt, alternative Lebensstile ausprobierte und eigene Wege suchen wollte, musste mit Repressionen rechnen.
Diesen jungen Menschen öffneten wir Pfarrer und Kirchenmitarbeiter unsere Gemeinderäume, ohne sie vorher zum Beten oder zu Bekenntnissen aufzufordern. Wir erreichten sie nicht durch eifriges Missionieren, sondern indem wir offen und ehrlich versuchten, ihre Fra-gen und Nöte als Jugendliche in einer Diktatur zu begreifen. Wurde in der Schule Schweigen und Anpassung von ihnen verlangt, galt auf den Bluesmessen das offene Wort. Die politische Situation in der DDR, die Mauer, der Wehrkundeunterricht, die allgegenwärtige Lüge in den Zeitungen – über all das konnte man hier sprechen. Hier durfte man anders sein, hier konnte man durchatmen und sich frei fühlen. Die Musik war dabei das sinnliche Bindeglied, das die Jugendlichen, uns Kirchenleute und die auftretenden Künstler miteinander verband. Als Mitte der 1980er-Jahre der Erfolg der Bluesmessen abgeebbt war, hatte sich ihre Botschaft längst verselbständigt: Im kirchlichen Raum formierte sich die Opposition gegen den SED-Staat, ohne dazu noch musikalischer Rahmenhandlungen zu bedürfen. Wenige Jahre später wurde die Diktatur von den Bürgerinnen und Bürgern in einer friedlichen Revolution gestürzt.
Die Geschichte der Bluesmessen ist eine Geschichte über die Jugend in der DDR, über die Rolle der Kirche in der Diktatur und über die Macht der Musik. Es ist also gut und folgerich-tig, die erfolgreiche Ausstellung „Widerspenstig und widerständig – Jugendkultur in Lichtenberg zwischen 1960 und 1990" des Museums Lichtenberg am heutigen Abend hier in der Erlöserkirche feierlich mit einem Blues-Konzert ausklingen zu lassen. Besonders freue ich mich dabei auch über die Gäste aus Tschechien, die uns daran erinnern, dass Bluesmusik auch in der damaligen ČSSR eine wichtige Rolle in der Oppositionsszene gespielt hat.
Als Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur freue ich mich außerdem sehr darüber, dass heute zugleich die Wanderausstellung über den legendären Besuch von Martin Luther King in Ost-Berlin vor 50 Jahren präsentiert wird, die wir sehr gerne finanziell unterstützt haben. Bemerkenswert ist hierbei, dass wir auch in diesem Zusammenhang den Genius Loci der Erlösergemeinde spüren können. Schließlich war es der hier ansässige Generalsuperintendent Gerhard Schmitt, der Martin Luther King damals nach Ost-Berlin einlud und zu seinen Predigten in der Marienkirche und Sophienkirche begleitete.
Ich danke allen Beteiligten für ihr großes Engagement und wünsche allen Anwesenden einen interessanten Abend und ein schönes Konzert!
Rainer Eppelmann
Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

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Erstelldatum01.11.2017 08:43:06
Erstellt vonPeter Arpad
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